Georg Friedrich Händel

 

Georg Friedrich Händel und der „Messias"

Obwohl die beiden großen Musiker des Barock J.S. Bach und Georg Friedrich Händel in unmittelbarer Nähe zueinander geboren wurden (Bach in Eisenach und Händel in Halle) und auch noch im gleichen Jahr (1685), sind sie sich nie persönlich begegnet. Und so unterschiedlich wie ihre Lebenswege verliefen - Bach hat Zeit seines Lebens das Gebiet der früheren DDR praktisch nie verlassen, Händels Spuren finden wir in Florenz, Rom, Neapel, Venedig und schließlich in London (von 1711 bis zu seinem Tod 1759) - so unterschiedlich sind auch ihre musikalischen Werke: Bach, der überwiegend Kirchenmusik für den gottesdienstlichen Gebrauch schrieb und Händel, der schon in Italien große Opern schrieb, aber immer wieder zur Kirchenmusik zurückfand und am 13. April 1742 in Dublin den MESSIAS aufführte. Dieses Oratorium wurde noch zu seinen Lebzeiten bereits 56 mal aufgeführt und hat bis heute nichts von seiner Anziehungskraft verloren. So gilt es immer noch als das meist aufgeführte Oratorium überhaupt.


Georg Friedrich Händel

Wie der Name schon sagt, beschäftigt sich das Oratorium mit dem bereits im Alten Testament angekündigten MESSIAS. Mit dieser Namensgebung korrespondiert die Beobachtung, dass die Texte überwiegend aus dem Alten Testament stammen. So sind tatsächlich von den 47 Nummern nur 10 dem Neuen Testament zuzuordnen. Durch die Dreiteilung des Werks in „Ankündigung der Geburt", „Passion" und „Wiederkunft- jüngstes Gericht" wird nicht wie bei Bach einseitig die Passion betrachtet, sondern es steht die im Alten Testament angekündigte Person MESSIAS im Mittelpunkt. Im ersten Teil werden vorwiegend alttestamentliche Weissagungen und Verkündigungen der Geburt Jesu herangezogen. Es ist dann aber noch erstaunlicher, wie der Text des zweiten Teils über die Passion berichtet, ohne einen einzigen Vers aus den Evangelien zu zitieren. Im Gegenteil wird hier von der prophetischen Weissagung des Jesaja ausgehend, sofort zu den neutestamentlichen Briefen (Römer und Hebräer) und zum Schluss zur Vision des triumphierenden Christus übergegangen, wobei das Ganze in das überwältigende Halleluja einmündet, wohl das bekannteste geistliche Musikstück überhaupt. Auch im dritten Teil bleibt die Kernaussage des zweiten Teils bestimmend: Die Gewissheit der Erlösung siegt über alle Todesfurcht.

Die Theologie des Kreuzes, die Bachs gesamtes Schaffen durchzieht, ist ihm fremd. Dagegen ist die Betonung des Sieges und der Macht Christi in den Bachschen Vertonungen undenkbar. Bei Bach steht immer der leidende Gottesknecht im Vordergrund und damit auch die mitleidende Gemeinde. Wenn bei Bach der Blickwinkel auf die zerknirschte Kreatur gerichtet ist, so sieht Händel Leben und Leiden des Erlösers von der Gewissheit des Heils und des Siegs überstrahlt. Beide Blickwinkel haben sicherlich ihre theologische Berechtigung und finden ihre Begründung zum großen Teil in dem unterschiedlichen Umfeld der beiden großen Komponisten: In Bachs Bibliothek findet man Gesangbücher, Luthers Schriften und etwa 50 Bände zeitgenössischer Theologie. Bach ist Angestellter einer „wunderlichen, der Musik wenig ergebenden Obrigkeit" und muss sich mit vielen Kleinigkeiten und musikalischen Unzulänglichkeiten täglich herumschlagen. Händel besucht Kunstgalerien, besitzt selber zwei wertvolle Rembrandts und ist ein „Mann von Welt", eine musikalische Kapazität, dessen Unmut die

Hofgesellschaften erzittern lässt. Die feste Verwurzelung Händels im englischen Lebensstil der damaligen Zeit ermöglicht dem englischen Zuhörer im Gegenzug eine Umdeutung des MESSIAS zum Teil auf ihr eigenes Volk. Das eigene Volk als „den Gesalbten Gottes" und als „die Auserwählten" klassifizierend, konnte man die Texte des MESSIAS kollektiv auf das eigene Volk anwenden.

Ein weiterer Grund für den überwältigenden Erfolg des Oratoriums ist in der musikalischen Anlage zu suchen. Händel, der eigentlich beabsichtigte, geistliche Inhalte als Opern aufzuführen, scheiterte mit dieser Absicht an der englischen Kirche: Der anglikanische Bischof von London verbot eine szenische Aufführung, genehmigte jedoch eine konzertant-oratorienhafte Version. Was lag für den Opernkomponisten Händel näher, als aus der Not eine Tugend zu machen? Seine Oratorien, so auch den MESSIAS, gestaltete er als Oper ohne Szene, als abstraktes Musiktheater. Da nun Dekoration, Kostüme und theatralische Handlung fehlten, musste die Musik selbst das Geschehen verdeutlichen. Die Eindeutigkeit des musikalisch-dramatischen Ausdrucks transportiert die Begebenheit quasi vor das innere Auge des „nur Zuhörers". Durch die innere Phantasie beflügelt verlegt der „Zuhörer" das Drama auf die „innere Bühne" seiner Vorstellungskraft und wird dadurch gleichzeitig auf einer höheren Ebene zum „Zuschauer". Dabei geht Händels Objektivität über die Darstellung der Evangelien weit hinaus: Der MESSIAS wird weniger in seiner irdischen Wirksamkeit geschildert als vielmehr als ein Kontinuum aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Händel verfährt dabei ähnlich wie ein Historiker, der seinen Gegenstand auf drei Ebenen sieht: als ein Ergebnis einer Entwicklung von langer Hand, als historisches Ereignis und als in die Zukunft wirkende und über die momentane Situation hinausragende Kraft.

Händel hatte es sich zum Vorsatz gemacht, den Erlös der Aufführungen für wohltätige Zwecke zu spenden: Er verstand dieses Oratorium als Opfergabe und Anruf. Einem Bewunderer seiner Musik, der die Schönheit des MESSIAS rühmte, entgegnete Händel: „My Lord ich würde bedauern, wenn es meine Zuhörer nur unterhalten würde, - ich wünschte, sie besser zu machen".